Confrontations

Contemporary Dutch Design
12.06.2012 - 02.09.2012

Vitra Design Museum Gallery

Die Ausstellung „Gerrit Rietveld – Die Revolution des Raums“, die das Vitra Design Museum diesen Sommer präsentiert, zeigt die anhaltende Aktualität des Werks von Rietveld. Vor diesem Hintergrund widmet sich die Ausstellung in der Vitra Design Museum Gallery einigen innovativen niederländischen Designern, deren experimentelle Arbeitsweise derjenigen Rietvelds ähnlich ist. Unter dem Titel „Confrontations“ werden Objekte und Installationen gezeigt, die von fünf Teams aus den Niederlanden in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Umgebung des Museums eigens für die Ausstellung entwickelt wurden.

Während Catalogtree die Ausstellung inszeniert, wurden die restlichen fünf Teams mit Partnern aus der Region Basel und Freiburg zusammengebracht. Alle fünf Partner stellten den Designern ihr Material und Know-how zur Verfügung, um gemeinsam mit ihnen ein Objekt bzw. eine Installation zu entwickeln.

Lucas Maassen und Roche

Lucas Maassen hat in der Vergangenheit wiederholt mit der Wissenschaft zusammengearbeitet. Seinen bloß fünf Mikrometer großen Nano Chair etwa hat er gemeinsam mit einem Physiker mittels Ionendünnung „gebaut“. Sichtbar ist der Stuhl nur über ein Focused-Ion-Beam-Mikroskop, womit Maassen die interessante Frage stellt, ab welcher Größe wir ein Objekt als solches wahrnehmen und auch bezeichnen.
Roche mit Hauptsitz in Basel, Schweiz, ein weltweit führendes, forschungsorientiertes Unternehmen, ist spezialisiert auf die beiden Geschäfte Pharma und Diagnostics. Die Abteilung „Forschung Chemie“ besteht aus Experten in den Bereichen Medizinalchemie und computer-gestütztes Molekül-Design, die neue Moleküle im Hinblick auf deren Anwendung als neuartige Medikamente entwickeln um das Leben von Patienten zu verbessern.
Bei ihrem gemeinsamen Projekt für Confrontations haben Lucas Maassen und Roche DNA-Fragmente kristallisiert. Der Kristall, der nur unter dem Mikroskop sichtbar ist, wurde von der Wiener Manufaktur Lobmeyr stark vergrößert als Glaskristall geschliffen. Eintausend Stück davon hat Maassen zu einer Kristallleuchte verarbeitet.
Letztlich geht es in diesem Projekt um die Visualisierung von Leben. DNA ist der Code des Lebens, ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Organismus. In jedem von uns stecken DNA-Fragmente, die kristallisiert und in einen Kronleuchter verwandelt werden könnten – auch in der Schwester, die Lucas Maassen nie bekommen hat. Das Projekt hat er deswegen „My Crystal Sister Valerie“ genannt – der Name, den er bekommen hätte, wäre aus ihm ein Mädchen geworden. Die Kristallleuchte – also ihre „kristallene Tochter“ – haben Maassens Eltern in einer Performance am 12. Juni 2012 gemeinsam fertig gestellt.

Video: Lucas Maassen und Roche

2012Architecten und Vitra

2012Architecten, gegründet von Jeroen Bergsma, Jan Jongert and Césare Peeren, ist ein Architekturbüro in Rotterdam, das seine Entwürfe fast ausschließlich aus Abfallmaterialien realisiert. Gemäß ihrer Philosophie des „Superuse“ verwenden sie dabei keine recycelten Rohstoffe, sondern Materialien, Teile und Objekte, die sie vor Ort finden.
Vitra ist weltweit in der Herstellung und im Handel von Wohn- und Büromöbeln tätig. Bekannt ist das Schweizer Unternehmen als Produzent der Entwürfe von Designikonen wie Charles und Ray Eames, George Nelson und Verner Panton, aber auch von zeitgenössischen Designern wie Konstantin Grcic, den Brüdern Bouroullec und Jasper Morrison.
Entsprechend ihrer Philosophie sollten 2012Architecten kein konventionelles Möbelstücks für Vitra entwerfen. Stattdessen führten sie eine Studie durch, um Materialien und Bauteile zu lokalisieren, die nicht den strengen Qualitätskriterien von Vitra entsprechen und daher nicht weiterverarbeitet, sondern dem Recycling zugeführt werden.
Bis zum 13. Juni 2012, dem Tag ihrer Performance, verarbeiteten 2012Architecten diese „Materialernte“ zu einem Sitz-Liege-Kletter-Objekt und installierten diese vor dem Vitra Design Museum.

Video: 2012Architecten und Vitra

Studio Formafantasma und die Köhlerin Doris Wicki

Andrea Trimarchi und Simone Farresin, Gründer von Studio Formafantasma, haben einen Hang zu Tradition und Nostalgie. Immer wieder beschäftigen sich die beiden Italiener, die in der niederländischen Stadt Eindhoven studiert haben und bis heute dort leben und arbeiten, mit alten Handwerksmethoden aus ihrer südeuropäischen Heimat. In deren Um- und Neuinterpretation jedoch zeigen sie einen deutlich niederländischen Ansatz: die Aussage ihrer Objekte ist ihnen wichtiger als deren Funktion.
Doris Wicki stammt aus einer Familie, die sich seit Generationen der Köhlerei widmet. Schon früh begleitete sie ihren Vater in die Wälder im Schweizer Entlebuch zu seinen Kohlemeilern und lernte das Handwerk so von der Pieke auf. Nach einer Laufbahn als Friseurin widmet sie sich seit 2004 der Event-Köhlerei. Sie ist die einzige Frau europaweit in diesem männerdominierten Beruf. In einem Prozess, der jeweils mehrere Wochen lang dauert, erzeugt sie pro Saison insgesamt bis zu 15 Tonnen Holzkohle.
Für „Confrontations“ setzen sich Formafantasma mit der Widersprüchlichkeit von Kohle auseinander. Zum einen war die Köhlerei lange Zeit verantwortlich für die Entwaldung weiter Landstriche in Europa, denn bis ins 19. Jahrhundert blieb die Holzkohle einzige Energiequelle für die Gewinnung und Verarbeitung von Metallen.  Zum anderen besitzt die Holzkohle einen gesundheitsfördernden Effekt und wird seit dem Alten Ägypten als Wasser- und Luftfilter sowie im medizinischen Bereich eingesetzt.
Gemeinsam mit einem Glasbläser und einem Schnitzer hat Studio Formafantasma eine Serie von Glasgefäßen mit dazugehörigen hölzernen Filtern und anderen Accessoires entwickelt. Die Holzteile wurden mit Doris Wicki in unterschiedlichem Grad verkohlt. Während der Performance am 14. Juni 2012 hat das Team neben der Vitra Design Museum Gallery einen Kohlemeiler aufgebaut.

Video: Studio Formafantasma und die Köhlerin Doris Wicki

Studio Wieki Somers und Confiserie Rafael Mutter

Wieki Somers betreibt ihr Studio gemeinsam mit Dylan van den Berg. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Suche nach den versteckten Eigenschaften von Objekten, Eigenschaften, die Erinnerungen wecken oder die Vorstellungskraft der Benutzer anregen. Seit der Gründung des Studios im Jahr 2000 experimentieren sie mit unterschiedlichsten Materialien, für ihre „Consume or Conserve?“-Serie sogar mit menschlicher Asche, die Somers und Van den Berg im 3D-Druckverfahren weiter verarbeiteten.
Der Freiburger Rafael Mutter wurde schon mehrmals unter die besten Chocolatiers Deutschlands, ja sogar Europas gewählt. Der Krokant aus dem Hause Mutter wird von den renommiertesten Chocolatiers Europas weiterverarbeitet, und sogar im schwedischen Königshaus schätzt man Mutters Kreationen.
Ihre Zusammenarbeit mit Rafael Mutter begann Wieki Somers mit zahlreichen Versuchen bis sie, inspiriert von Marcel Duchamps Schokoladenmühle, schließlich auf die Idee kam, Schokolade von oben abzuschaben wie einen Laib „Tête de Moine“-Käse. Dazu produzierten sie gemeinsam mit dem Chocolatier zwei große Laibe Schokolade, von denen mit einem kurbelartigen Messer von oben feine Rosetten abgeschabt werden. In die Laibe sind in verschiedenen Schokoladearten unterschiedliche Muster eingelassen, sodass beim Schaben ein Effekt wie bei einem Daumenkino entsteht.

Video: Studio Wiecki Somers und Confiserie Rafael Mutter

Dirk Vander Kooij und A. Raymond

Die Arbeiten des Designers Dirk Vander Kooij kreisen beständig um das Schlagwort Rapid Prototyping. Sein Endless Chair etwa entsteht, Schicht für Schicht, aus einem langen geschmolzenen Kunststoffstrang, der mit Hilfe eines 3D-Druckverfahrens in Form eiens Stuhls aufeinander gesetzt wird.
Für „Confrontations“ arbeitete Vander Kooij mit der Firma A. Raymond aus Lörrach zusammen. 1886 erfand Firmengründer Albert-Pierre Raymond den Druckknopf, eine entscheidende Verbesserung gegenüber den schlichten Knöpfen, die die Firma bis dahin für Handschuhe und Schuhe produziert hatte. 126 Jahre später ist der mittlerweile multinationale Konzern immer noch Experte für Verbindungen – allerdings nicht mehr im Modebereich. A. Raymond ist heute der weltweit zweitgrößte Hersteller von Befestigungselementen für die Autoindustrie.
Auch für „Confrontations“ geht Dirk Vander Kooij vom 3D-Druckverfahren aus. Die Anregung zu seinem neuen Projekt entstand aus der Tatsache, dass die digitalen Visualisierungen, mit denen Computer für den Druck gefüttert werden, auf kleinen Dreiecken aufbauen – vergleichbar mit quadratischen Pixel, aus denen sich digitale Bilder zusammensetzen. Solche Dreiecke hat Vander Kooij vergrößert und in Metall nachgebaut. Gemeinsam mit A. Raymond hat er an den Kanten einen einfachen Mechanismus entwickelt, dank dem sich die Teile unkompliziert verbinden lassen.

Video: Dirk Vander Kooij und A. Raymond

Catalogtree und die Vitra Design Museum Gallery

Design ist mehr als seine Einzelteile, sagen Joris Malta und Daniel Gross, die Gründer des Grafikbüros Catalogtree. Was sie damit meinen, stellen sie vor allem mit der Visualisierung von Daten unter Beweis, wenn hunderte Zahlen plötzlich ein leicht verständliches Bild ergeben.
Für die fünf einzelnen Teile von „Confrontations“ – die Objekte und Installationen der anderen Designteams und ihrer Partner – hat Catalogtree ein Logo entworfen, das sich aus den Bewegungen eines Doppelpendels ergibt. Ein Doppelpendel ist ein Pendel, an dem ein zweites Pendel befestigt ist und das einem unvorhersehbaren Bewegungsmuster folgt. Damit will Catalogtree den experimentellen Charakter von „Confrontations“ unterstreichen, denn das Wesen eines Experiments ist dessen ungewisser Ausgang. Eine per Doppelpendel betriebene Uhr wird also immer vor- oder nachgehen.
Eine solche Uhr und die Arbeiten der fünf Designteams inszeniert Catalogtree in einem Ambiente, das vom Standort der Vitra Design Museum Gallery inspiriert ist: den Produktionshallen des Möbelherstellers Vitra. Industrie und Experiment finden damit fast drei Monate lang in reizvoller Spannung zusammen.


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