Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter

07.06.2025 – 28.09.2025

Vitra Design Museum

Eine Ausstellung des Vitra Design Museums, der Wüstenrot Stiftung, des Milwaukee Art Museum und dem Institute of Contemporary Art Philadelphia in Kooperation mit dem Shaker Museum.

Wie konnte eine amerikanische Freikirche aus dem 18. Jahrhundert Generationen von KünstlerInnen, ArchitektInnen und DesignerInnen weltweit inspirieren? Die Shaker waren eine religiöse Gruppe, die auf Basis ihres Wertesystems eine einzigartige Gestaltungskultur entwickelten. Die zeitlosen und funktionalen Objekte, Bauten und Interieurs der Shaker haben bis heute Kultstatus, waren für die Shaker selbst jedoch Ausdruck religiöser Werte rund um Gemeinschaft, Arbeit und soziale Gleichheit. Die Ausstellung »Die Shaker: Weltenbauer und Gestalter« präsentiert das ganze Gestaltungsspektrum der Shaker – von Möbeln und Bauten bis zu Werkzeugen und Textilien – und zeigt, wie deren reduzierte Ästhetik bis heute nachwirkt. Historische Shaker-Objekte werden den Werken zeitgenössischer KünstlerInnen und DesignerInnen gegenübergestellt, die die heutige Relevanz der Shaker untersuchen.

Die Shaker formierten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England und emigrierten 1774 in die amerikanischen Kolonien, wo sie 18 eigenständige Gemeinden gründeten. Innerhalb dieser Siedlungen kreierten die Shaker Möbel, Haushaltsgegenstände und Bauten, die bald für ihre Schlichtheit, Funktionalität und Standardisierung geschätzt wurden. Obwohl die Shaker als Wegbereiter moderner Gestaltung gelten, werden sie bis heute oft auf eine Ästhetik reduziert, die auch als „Shaker-Stil“ bezeichnet wird. Die Ausstellung »Die Shaker: Weltenbauer und Gestalter« geht darüber hinaus und betrachtet das Shaker-Design im größeren Kontext ihrer Entstehungszeit sowie des religiösen Weltbildes der Shaker. Die vom Mailänder Studio Formafantasma gestaltete Ausstellung zeigt über 150 Originalexponate, die mehrheitlich aus der Sammlung des Shaker Museums in Chatham, New York stammen.

Neben historischen Objekten präsentiert die Ausstellung Auftragsarbeiten von sieben internationalen zeitgenössischen DesignerInnen und KünstlerInnen, die die Shaker aus einer persönlichen, oft auch kritischen Perspektive betrachten. Neue Forschungsergebnisse zur Shaker-Kultur, etwa zu Themen wie Gleichberechtigung, Inklusion und Nachhaltigkeit, erweitern gängige Narrative zum Shaker-Design und eröffnen dem Publikum neue Zugänge zu einem der faszinierendsten sozialutopischen Experimente der Moderne.

Die Ausstellung ist in vier thematische Abschnitte unterteilt, die nach Zitaten von Mitgliedern der Shaker-Gemeinschaft benannt sind. Die erste Sektion, » The Place Just Right « stellt die Weltanschauungen und räumlichen Strukturen vor, die das Shaker-Leben prägten. Fotografien von Shaker-Bauten werden mit besonders symbolträchtigen Objekten kombiniert, etwa der Treppe eines Wohnhauses oder einer vier Meter langen Sitzbank, die das gemeinschaftliche Leben und seine strenge Gliederung veranschaulichen. Ein Radio aus der Shaker-Gemeinde Canterbury veranschaulicht, wie aufgeschlossen die Gemeinschaft externen Innovationen trotz ihres Rückzugs aus der weltlichen Gesellschaft gegenüberstand. Dies lenkt den Blick auf die Bedeutung von Musik und Ritualen für die Shaker: Einen zentralen Stellenwert im Leben der Shaker nahmen die ausdrucksvollen Tanzrituale während des Gottesdienstes ein, nach denen die Shaker ihren Namen erhielten. Die Videoinstallation »POWER«, ein Tanzstück des Künstlers und Choreografen Reggie Wilson, vertieft dieses Thema, indem sie das Erbe des Shaker-Tanzes sowie dessen Überlappung mit afroamerikanischen Tanzpraktiken und Musiktraditionen untersucht.

Der zweite Raum » When We Find a Good Thing, We Stick To It « rückt das Design der Shaker in den Mittelpunkt. Zum Inbegriff des Shaker-Designs wurden einfache, standardisierte Stühle, die höchste handwerkliche Qualität mit einer reduzierten, zeitlosen Formensprache verbinden. Auch Schränke, Kommoden und Tische beeindrucken durch ihre Schlichtheit und illustrieren das Streben nach Ordnung und Struktur, das die Shaker auch in ihren »Millennial Laws« (Jahrtausendgesetzen) von 1821 und 1845 verankerten. Die eigenwillige Verbindung der Shaker aus festen Regeln und Offenheit für Interpretation untersucht die zeitgenössische Künstlerin Kameelah Janan Rasheed, die sich auf die Schriften von Mother Rebecca Cox Jackson, einer schwarzen Shaker-Ältesten und Gründerin der einzigen städtischen Shaker-Gemeinde bezieht.

Der dritte Abschnitt der Ausstellung heißt » Every Force Evolves a Form « und betrachtet die Shaker als findige Unternehmer und Geschäftsleute. Zu ihren Bestsellern zählten ovale Spanschachteln und sogenannte Fancy Goods (Handarbeitsutensilien), über deren Verkauf die Shaker ihre Gemeinden finanzierten. Werkzeuge und einfache Maschinen zeigen, wie offen die Shaker gegenüber technischen Neuerungen waren, die sie oft auf unkonventionelle Weise an eigene Bedürfnisse anpassten. Bis heute entziehen sich die Shaker jeder Einordnung, da sie an der Grenze zwischen traditionellem Handwerk, aufkommender Industrialisierung und modernem Design arbeiteten. Ihre Form ethischer Gestaltung im heutigen Kontext untersucht die niederländische Designerin Christien Meindertsma, indem sie die Shaker-Tradition der Korbflechterei aufgreift und damit einen aus Weidenzweigen geflochtenen, biologisch abbaubaren Sarg entwickelt hat. Finnegan Shannon wiederum untersucht die Shaker als Pioniere der Inklusion, die ihre Umgebungen an körperliche Bedürfnisse anpassten, während der Künstler David Hartt sich in seiner filmischen Arbeit »The True Artist Helps the World by Revealing Mystic Truths (Tree of Light)« mit der Spiritualität und Geschichte der Gemeinschaft auseinandersetzt.

Der letzte Abschnitt der Ausstellung mit dem Titel »I don’t want to be remembered as a chair« betrachtet das spirituelle Vermächtnis der Shaker und die heutige Relevanz ihrer gemeinschaftlich geprägten Gestaltung. Im Zentrum stehen hier die so genannten »Gift Drawings« (1830 bis 1850) der Shaker –ornamental-abstrakte Zeichnungen, in denen Shaker-Schwestern ihre göttlichen Visionen festhielten. Die Verbindung von Spiritualität, Arbeit und Gestaltung untersucht der Ausstellungsbeitrag von Chris Halstrøm, einem großformatigen Stickwerk, auf dem jeder Faden ein Gebet repräsentiert. Den Abschluss der Ausstellung bildet die Installation »Meetinghouse 2« der Künstlerin Amie Cunat. Diese maßstabgetreue Neuinterpretation eines Shaker-Gemeindehauses, in dem Gottesdienste abgehalten wurden, ist für das Publikum zugänglich und lädt zur Reflexion über Gemeinschaft ein. In der heutigen, von gesellschaftlichen Konflikten geprägten Zeit zeigen die Shaker mit ihrer eigenwilligen Verbindung aus Utopie und Pragmatismus: eine andere Welt ist möglich.

Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums: »Unser Museum war schon immer an Designströmungen interessiert, die abseits ausgetretener Pfade liegen und den kulturellen, philosophischen, ja spirituellen Kontext von Design veranschaulichen. In unserer Möbelsammlung befinden sich mehrere Stücke der Shaker, die uns die Bedeutung der Shaker immer wieder in Erinnerung riefen. Die Ausstellung selbst ist das Ergebnis einer transatlantischen Kooperation, die angesichts der aktuellen politischen Verschiebungen wichtiger denn je scheint.«

Mea Hoffmann, Mitkuratorin der Ausstellung: »›Die Shaker: Weltenbauer und Gestalter‹ beleuchtet das Vermächtnis der Shaker im Hinblick auf ihr Design und ihre Weltanschauung aus zeitgenössischer Perspektive. Die Ausstellung lädt dazu ein zu erkunden, welche Impulse die Welt der Shaker für uns in der heutigen Zeit bereithält. Durch die vereinte Expertise der beteiligten Institutionen ist eine bereichernde Zusammenarbeit entstanden, die einen lebendigen Dialog zwischen zeitgenössischer Kunst, Design und Geschichte ermöglicht und die anhaltende Faszination für die Shaker widerspiegelt.«

Die Ausstellung wird von einem vielfältigen Programm aus Vorträgen, Diskussionen und Workshops begleitet. Nach der Premiere im Vitra Design Museum wird die Ausstellung im Milwaukee Museum of Art (25. September 2026 – 31. Januar 2027), im Institute of Contemporary Art in Philadelphia (31. Januar – 9. August 2026) und in weiteren internationalen Museen präsentiert. 

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog, der sowohl die historischen Shaker-Objekte dokumentiert als auch die Beiträge der KünstlerInnen beleuchtet. Hinzu kommen thematische Essays und Interviews mit WissenschaftlerInnen und ExpertInnen wie Sarah Margolis-Pineo, Glenn Adamson, Jeffrey De Blois, Aaron Betsky, Shoshana Resnikoff, Mea Hoffmann, Hallie Ringle, Irene Cheng, Cauleen Smith, Mabel O. Wilson und Johann Hinrich Claussen.  

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