»Beim Shaker-Design ging es nicht um Ausschmückung, sondern darum, funktionale Schönheit zu erschaffen.«

Interview mit Jerry Grant und Sharon Duane Koomler

»Beim Shaker-Design ging es nicht um Ausschmückung, sondern darum, funktionale Schönheit zu erschaffen.«

Die im 18. Jahrhundert gegründete Shaker-Gemeinschaft sah Design als wesentliche Ausdrucksform ihres religiösen Glaubens. Ihre radikal einfachen, funktionalen Gegenstände hatten profunden Einfluss auf das moderne Design und inspirierten Generationen von Kunst-, Architektur- und Designschaffenden. Kuratorin Mea Hoffmann sprach mit Jerry Grant, Leiter für Sammlungen und Forschung im Shaker Museum, und mit Sharon Duane Koomler, kuratorische Beraterin des Shaker Museums, über den einzigartigen Designansatz der Shaker und ihren heutigen Einfluss.

Die Shaker haben eine bemerkenswerte, 250-jährige Geschichte. Was ist Ihrer Ansicht nach der Grund für die Langlebigkeit ihrer Ideen, obwohl es ja heute nur noch wenige Shaker gibt?

Jerry Grant: Ihre Glaubensstärke ist von zentraler Bedeutung. Man schloss sich den Shakern nicht aus einer spontanen Laune heraus an, sondern hat sich mit ganzer Seele ihren Überzeugungen verschrieben.

Sharon Duane Koomler: Ein Schlüsselelement war ihr Gemeinschaftssinn. Er hat sich ganz natürlich ergeben, aber dennoch waren die Mitglieder auf die Bewahrung der Einheit bedacht – nicht nur innerhalb der Einzelsiedlungen, sondern auch auf die Shaker-Gemeinschaft als Ganzes bezogen. Es ging darum, eine physische Umgebung zu kreieren, die für alle Shaker einen Wiedererkennungswert besaß. Das erstreckte sich auf Einrichtungsgegenstände, persönliche Kleidung und sogar auf die Art zu sprechen. Wenn Shaker aus Maine in eine Shaker-Gemeinde in Kentucky gereist sind, mochte es dort geringfügig anders ausgesehen haben, aufgrund der handwerklichen Fertigkeiten, der regionalen Designästhetik oder der verfügbaren Materialien – immerhin lag die Gemeinde über 600 Kilometer weit weg –, aber der Ort hat dennoch erkennbar zu den Shakern gehört.

Die Shaker fertigten viele verschiedene Güter an, aber die Möbel stechen hervor. Warum wurden sie Ihrer Meinung nach bekannter als sonstige Kreationen?

SK: Shaker-Möbel sind äußerst zugänglich, da sie kaum Interpretation erfordern. Wir können unmittelbar mit ihnen interagieren – uns zum Beispiel auf einen Stuhl setzen. Zu ihrer sonstigen Arbeit, wie der Landwirtschaft, kann ein modernes Publikum nur schwer einen Bezug herstellen. Die Shaker betrachteten ihre Handwerkskunst als Teil ihres Glaubens, jede Handlung, vom Land- bis zum Möbelbau, war Ausdruck von Spiritualität.

Ist es sinnvoll, die Shaker als Vorläufer der Moderne oder des Minimalismus zu betrachten?

SK: Die Designästhetik der Shaker weist zwar Ähnlichkeiten zur Moderne und zum Minimalismus auf, war jedoch nicht von denselben Idealen geleitet. Die Shaker legten den Schwerpunkt nicht auf Ästhetik um der Form oder des Stils willen, sondern darauf, funktionale, einfache und haltbare Gegenstände zu erschaffen, die ihrer gemeinschaftlichen Lebensweise und ihrer Frömmigkeit zuträglich waren. Ihr Streben nach Einfachheit erwuchs aus dem Wunsch, Ausschweifung und Eitelkeit zu tilgen, nicht aus einer Designbewegung. Daher ist ihre Ästhetik eher eine praktische Antwort auf spirituelle und gemeinschaftliche Belange, kein Vorläufer eines modernen oder minimalistischen Designs.

Viele zeitgenössische DesignerInnen und KünstlerInnen sind von den Shakern inspiriert. Was können heutige Kreative aus deren Umgang mit dem Markt und mit Wertvorstellungen lernen?

SK: Anfangs empfand ich es so, dass sich Design und Architektur bei den Shakern bedient haben, aber irgendwann erkannte ich, dass sie erheblich zu unserem Verständnis der materiellen Shaker-Kultur beitragen. Man übernimmt nicht einfach, sondern entwickelt die Prinzipien der Shaker weiter und passt sie auf eine Weise an, die ihnen auch heute noch Relevanz verleiht. Jede Interpretation ist persönlich und es begeistert mich zu sehen, wie KünstlerInnen und DesignerInnen das Shaker-Design in ihre eigene Arbeit aufnehmen – nicht als bloße Neuinterpretation, sondern als etwas, das im jeweils neuen Kontext mitschwingt.

Die materielle Kultur der Shaker ist faszinierend, weil ihre Absichten zwar klar sind, der Designvorgang selbst aber häufig im Dunkeln liegt. Es bleibt für uns offen, wie individuelle Handwerkskunst und Innovation ineinandergegriffen haben.

JG: Erfindungen der Shaker dienten oft der Lösung von Alltagsproblemen und wurden nicht immer formell als „Erfindungen“ deklariert. Viele Innovationen ergaben sich aus den Fertigkeiten und Bedürfnissen in der Gemeinde; auch von außerhalb der Shaker-Welt kamen häufig Anfragen. Dass sie sich der Qualität verpflichtet fühlten, war für den Markterfolg entscheidend.

SK: Die Shaker ließen bestimmte Entwürfe patentieren, aber nicht, um nach Anerkennung zu heischen, sondern um ihre Ideen zu schützen, nachdem andere begonnen hatten, ihre Erfindungen zu kopieren. Patente haben der Gemeinschaft geholfen, sich ihre Innovationen zu sichern – wie den Kippmechanismus an Stühlen, der dabei half, Kratzer auf Fußböden und mögliche Verletzungen zu vermeiden. Diese Erfindung war zwar einfach, sparte aber Zeit und Aufwand. Dies zeigt, wie essenziell praktische Problemlösungen für das Design der Shaker sind.

Oft wird behauptet, dass die Shaker jegliche Dekors und Ornamente ausgemerzt haben…

JG: Die Shaker haben Dekor nicht gänzlich abgelehnt, sie haben es einfach nicht ausufern lassen. Bei einem schlichten gestreiften Geschirrtuch waren die Streifen beispielsweise kein überflüssiges Ornament, sondern ein subtiles Mittel, um dem Gegenstand Vollständigkeit zu verleihen. Die Shaker glaubten an Organisationsprinzipien für jedes Detail, von der Farbauswahl bis hin zur Funktion, und schufen so Designs mit Sinn und Bedeutung. In der Tat ging es beim Shaker-Design nicht um bloßen Zierrat aus Eitelkeit, sondern um die Erzeugung funktionaler Schönheit. Sogar mit der Verwendung von Farben verfolgte man eine Absicht, etwa die Kennzeichnung bestimmter Bereiche. Stets verfolgte man dabei jedoch einen klaren Zweck.