»Das kritische Potenzial der Pop-Art sollte man nicht wegdenken.«
Hans-Ulrich Obrist ist künstlerischer Direktor der Serpentine Gallery in London und gilt als einer der einflussreichsten Kuratoren weltweit. Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, sprach mit Obrist über die Entstehung der Pop-Art, über ihre Stellung in der Kunstgeschichte und die unterschätzte Bedeutung von Ausstellung als Bindeglied zwischen Kunst, Design und Architektur.
MK: Die Pop-Art ist ein solcher Mythos geworden, dass es sich lohnt, nochmals neu über ihre Entstehung nachzudenken. Wie hat sich diese Ihrer Ansicht nach vollzogen, woher kamen die Ideen der Pop-Art?
HUO: Man hat die Pop-Art ja oft als ein amerikanisches Phänomen betrachtet, und natürlich war der Beitrag von Künstlern wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol ganz fundamental. Aber es ist wichtig zu erwähnen, dass Pop auch in England früh begonnen hat, und dabei ist die Figur von Richard Hamilton zentral. Er hat in den 50er Jahren die Idee der Pop-Art vorformuliert, mit Ausstellungen und seiner Ästhetik in der Malerei, aber auch mit dem Brückenschlag zum Design und der Architektur. Es geht dabei nicht nur um die Collage „Just what is it that makes today's homes so different, so appealing?“, die immer als Initialbild der Pop-Art gilt, sondern darum, dass er den Betrachter aus dem, was er den „monokularen Käfig“ nannte, befreit hat. Er hat Brücken hergestellt zwischen den Disziplinen, auch zu Architektur und Design.
Woher kamen die Anregungen dazu?
In den 30er Jahren hat Hamilton in der Reimann School gearbeitet, das war eine Schule für industrielle und angewandte Künste, er hat Messestände und Werbeschilder aufgebaut. Viele der damaligen Gestaltungsideale kamen noch aus dem Bauhaus: der interdisziplinäre Geist, die Idee, dass hochqualifizierte Fachmänner in einem sehr praktischen Umfeld gearbeitet haben, dass die kommerziellen Studios für Darstellung, Mode, Graphik Design und Photographie auch Künstler angezogen haben – all das war wichtig für die Entstehung der Pop-Art. So hat es ja auch bei Warhol begonnen. Nach 1933 emigrierten die Ideen des Bauhauses nach England, in die USA, doch sie waren so stark, dass man Pop-Art durchaus als kommerzielle Fortführung der Bauhaus-Ideen bezeichnen kann.
Zugleich haben viele Künstler und Designer der Nachkriegszeit ja auch kritisch auf die klassische Moderne und den Internationalen Stil geblickt – wie lässt sich erklären, dass sie die Avantgarde der Vorkriegszeit teilweise ablehnten, sie aber zugleich fortsetzten? Ist es vielleicht ein Merkmal der Pop-Art, dass sie Platz hatte für unterschiedlichste künstlerische Ideologien, dass es gar keine Ideologie in dem Sinne war, sondern eher eine Art über Medialität und Kommunikation nachzudenken?
Wenn man Interviews mit Künstlern liest, die dieser Bewegung zugeschrieben werden, dann sehen diese es immer skeptisch, dass sie in eine Schublade gesteckt werden. Im Bauhaus gab es immer diese Ideologie oder diese Idee einer universalen Sprache, die die ganze Welt erreicht und die Welt verbessert. Das war eine Utopie und die gab es auch in den 60er Jahren, ob im Team 10 oder der Independent Group. Aber natürlich sollte man auf keinen Fall das kritische Potenzial der Pop-Art wegdenken. Glissant hat dieses Paradox angesprochen, wenn er sagt, es gibt eben diese universale Idee einer Homogenisierung, bei der Differenzen verschwinden, deshalb sei es wichtig, dass globale Dialoge entstehen, die nicht homogenisierend sind, also Differenzen erzeugende globaler Dialog. Das hatte man nicht in den Avant-Garden des frühen 20. Jahrhunderts, in der Pop-Art aber schon. Denken Sie nur daran, dass es neben Pop in den USA und England ja auch andere Länder mit eigenständigen Ausprägungen gab, etwa in Deutschland, aber auch in Skandinavien, in Frankreich.
Wie konnte aus der Verarbeitung früherer Avantgarden dann aber das entstehen, was Lawrence Alloway dann Pop-Art taufte? Spielten dabei nicht auch Einflüsse aus der Nachkriegszeit eine Rolle?
Die 50er waren ja sehr stark von Fernsehen und bewegten Bildern geprägt, und diese Dinge sind eben auch in die Kunst gekommen. Die Pre-Pop-Art-Generation, etwa die Independent Group, hat als erste das Fernsehen ins Museum gebracht, in den 60er Jahren wurde das dann noch einmal weiter angetrieben. Es ging darum, das komplexe Gebilde des modernen Lebens, wie man es im Fernsehen sah, ins Museum zu holen. Auch dafür war die Disziplin des Ausstellungsdesigns extrem wichtig. Es gab in England bahnbrechende Ausstellungen, zum Beispiel „Growth and Form“ , oder „Man, Machine and Motion“ in Newcastle 1955 oder „An Exhibit“ 1957 in Newcastle, aber auch andere Projekt wie Philip Johnson‘s „Machine Art“ Ausstellung im MoMA. Bei all diesen Projekten ging es um Ideen aus der Architektur und die Immersion des Betrachters in den Raum. Die Ausstellung als Medium entsprach dem Ideal, dass man die Bewegung des Betrachters im Raum hat, dass man eben im Stuhl sitzen konnte, einen Film sich ansehen konnte, ein Buch lesen konnte, Informationen auf verschiedene Art und Weise konsumieren konnte. Also quasi der Anfang des Informationszeitalters, ja, das Ausstellungen Informationen präsentieren, in einem dynamischen eindringenden Umfeld, eher als etwas auf den statischen Betrachter projiziert.
Die Immersion des Betrachters, der Dialog mit elektronischen Medien, der Bezug zur Alltagskultur – was Sie ansprechen, führte ja auch zu völlig neuen Museumskonzeptionen. Es entstanden Häuser wie das Moderna Museet in Stockholm durch Pontus Hulten, einen großen Förderer der Pop-Art. Was hat denn die Pop-Art als Bewegung in die Museumswelt hineingebracht? Ist damit auch eine neue Art, das Museum eigentlich als Ort zu fassen, verbunden gewesen?
Der wichtige Moment des Pop-Museums ist Cedric Prices „Fun Palace“. Bei dem Fun Palace ging es ja darum, dass man täglich so eine Ausstellung wie „this is tomorrow“ haben könnte. Es ging ja um diese Kontakte und Disziplinen; es ging darum, dass es schnelle und langsame Wege gäbe; es ging darum, dass sich die Grenzen zwischen Hochkultur oder Populärkultur vermischen; dass das poröser wird; es ging darum, dass eine Institution entsteht, die die Energie eines Kraftwerks hat, die Kunst im Bezug setzt zu dem, was in der Welt um sie herum passiert. Dafür zog Price ja auch die Theaterregisseurin Joan Littlewood hinzu, es ging darum, die Disziplinen beim Ausstellen zu überwinden.
Wie sehen Sie den Dialog von Kunst und Design der Pop-Art bei anderen Figuren dieser Zeit? Kann er wirklich als Grundkonstante der Pop-Art betrachtet werden?
Was ich vorher zum Medium der Ausstellung als Entstehungsimpuls der Pop-Art sagte, kann man ja auch im Design beobachten, zum Beispiel an den Ausstellungen von Eames. Dessen Ausstellung als Experiment zwischen den Disziplinen, im MoMA, aber auch später in Amerika und Moskau. Smithson war ja sehr von Eames beeinflusst, er war nach Amerika gefahren und Eames war wie eine Vaterfigur. Auch bei jemandem wie Roy Lichtenstein sieht man, dass er sich von der Zweidimensionalität zur Dreidimensionalität entwickelte. Es gab zum Beispiel in der National Portrait Gallery eine Pop-Ausstellung, da sah man wirklich, wie in der Malerei eines Allen Jones die Regale aus der Leinwand heraustraten und räumlich wurden, das überschritt bewusst die Grenze von der Malerei zum Design. Auch Denise Scott Brown ist ein Beispiel dafür, wie die Ideen der Pop-Art die Disziplinengrenzen überwanden, zuerst war sie in England bei der Independent Group, dann ging sie hinüber in die USA, und erst dort traf sie Robert Venturi – der Rest ist Geschichte…
Wie sehen sie den Begriff Pop innerhalb der heutigen Kunstwelt? Ist es eher eine historische Folie, auf die man sich bezieht, oder funktionieren bestimmte Strategien noch immer?
Es ist ja kein Zufall, dass Jeff Koons heute das berühmte Bild Lichtensteins mit der Malerpalette in seinem Studio hat. Koons will einen Dialog haben mit Kunstgeschichte, einen Dialog mit Technologien, mit der Frage von Akzeptanz. Seine Werke sind offen für den Betrachter, sie sollen ihn ermächtigen zu einer eigenen Sichtweise, deshalb auch die verspiegelten Oberflächen, wo man sich selbst im Kunstwerk sieht. Die Pop-Art ist ein wichtiger Bezugspunkt für ihn, aber Koons bleibt dabei nicht stehen, er geht noch weiter zurück, bis zu Dali und Duchamp. Auch sie können als Vorläufer der Pop-Art gesehen werden, mit ihrer Idee, Alltagsdinge wie das Telefon zur Ikone zu machen, sie für unterschiedliche Betrachtungen zu öffnen. Für jemand wie Koons ist die Pop-Art ein Bindeglied in die Geschichte, zu Duchamp, Dali und noch weiter, und bei allen Gliedern dieser Kette ist die metaphorische Dimension des gefundenen Objektes eine offene Einladung für den Betrachter, seine eigenen Erfahrungen einzubringen. Dass der Betrachter einen Ort hat im Zentrum des Werkes, ist ja, denke ich, ein Kernstück der Pop-Art.
Die Überhöhung von Alltagsobjekten durch ihre Präsentation in Museen ist ja nicht nur ein wichtiges Motiv vieler Künstler, sondern stellt auch die Frage danach, wie man Design überhaupt ausstellen kann. Sie haben dies mit Ihrer Ausstellung „Design real“ getestet, die sie 2010 mit Konstantin Grcic gemacht haben. Sind Sie an der Durchlässigkeit zwischen Kunst und Design interessiert, oder hat es Sie gereizt Design in eine Institution zu bringen, die eigentlich eher ein Kunstkontext ist?
Wir wollen die Differenzen nicht verschwinden lassen. Aber mit unserer Pavillon-Serie machen wir ja auch Architektur, und in ähnlicher Weise wollen wir mit Design arbeiten, auch in Zukunft. Die Ausstellung von Konstantin Grcic war gerade deshalb interessant, weil die Serpentine Gallery mehr ein Kunstraum ist als ein Designraum. Die Designwelt hat die Ausstellung ganz anders gesehen als die Kunstwelt. Die Objekte auf den Sockeln wurden einerseits als sehr funktionale und verfügbare Alltagsobjekte wahrgenommen, aber auch als Designausstellung in einem ungewöhnlichen Kontext. Von der Kunstwelt wurde sie eher als Readymade, als Kunstinstallation wahrgenommen.
Welche Wege sehen Sie, Design ins Museum zu bringen? Gerade wenn man sieht wie Messen und Magazine heute Design präsentieren und man als Museum nach anderen Wegen oder tiefere Wege sucht Design zu zeigen?
Richard Hamilton sagte mir einmal „wir erinnern uns nur an Ausstellungen, die auch ein neues ‚display feature‘ erfunden haben.“ Es gibt ja nicht nur Künstler die ‚display features‘ erfunden haben, auch viele Designer und Architekten, von Alvar Aalto bis Rem Koolhaas. Wir erinnern uns heute an die Designausstellungen von Enzo Mari, der Castiglioni-Brüder, von den Eames. Die große Chance von Designausstellungen ist, dass man wieder an die Geschichte experimenteller Displays anknüpft – diese sind wie Korkenzieher, die in die Erinnerung eindringen, man vergisst sie nicht. Die Ausstellung ist natürlich keine starke Ökonomie, niemand kauft ein Ausstellungdisplay, es wird ja nach der Ausstellung abgebaut und ist ein schwaches link in der Kette der Kunstverwertung. Aber es ist ein sehr starkes Link in der Geschichte, sozusagen ein Highway, um in Geschichte einzugehen.