»Dinge wie in einem Traum«

Fiktives Interview mit Salvador Dalí und André Breton

Viele Surrealisten schufen Readymades und andere irritierende Objekte, die unser Bild der vermeintlich vertrauten Welt erschüttern. Zu den Surrealisten, die sich mit Alltagsobjekten auseinandersetzten, zählten auch André Breton und Salvador Dalí. Wir haben ein fiktives Interview mit den beiden über den Surrealismus und Design geführt.

Salvador Dalí, Sie sind ein begnadeter Maler, aber nun haben Sie begonnen, auch Objekte zu entwerfen – ein Telefon mit einem Hummer als Hörer beispielsweise, oder einen roten Frauenschuh in einer seltsamen Konstruktion. Was interessiert Sie an Alltagsdingen?

Diese Dinge, die eine minimale mechanische Funktion erfüllen, beruhen auf Phantasmen und Vorstellungen, die durch unbewusste Handlungen ausgelöst werden können. Ich versuche, fantastische Dinge, magische Dinge zu entwerfen, Dinge wie in einem Traum. Die Welt braucht mehr Fantasie. Unsere Zivilisation ist zu mechanisch. Wir können das Fantastische wirklich werden lassen, und dann ist es realer als das, was bereits existiert.

1934/35 haben Sie eine Collage gestaltet, bei der das Porträt der Filmdiva Mae West als Appartement nachgebaut werden sollte, und Mae Wests Lippen wurden zu einem Sofa. Für den Sammler Edward James haben Sie dieses Sofa dann tatsächlich gebaut, es wurde eines Ihrer bekannten Objekte. Mit Verlaub, wie kommt man auf solche Gedanken?

Ich spreche von paranoischer Einrichtung. Selbst wenn erotische Begierden und Fantasien, die den besagten Objekten zugrundeliegen, allgemein als »normal« bezeichnet werden würden, bilden das Objekt selbst und die Fantasien, die durch seine Anwendung ausgelöst werden können, immer eine neue, absolut unbekannte Serie von Perversionen und damit poetischen Elementen.

Monsieur Breton, Sie schreiben, dass surrealistische Kunstwerke »schön wie die unvermutete Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch« sein sollten. Was meinen Sie damit?

Das ist eine Metapher, die ich von dem symbolistischen Dichter Lautréamont übernommen habe, weil sie genau das Bild von Schönheit zeigt, das für mich die Grundlage des Surrealismus bildet: Ich bezeichne das als »konvulsive Schönheit«. Eine solche Schönheit bedarf des durchdringenden Gefühls der Offenbarung, der völligen Gewissheit, die eine unvermutete Lösung uns verschafft, welche aufgrund ihrer Art auf keinem der gewöhnlichen logischen Wege zu uns gelangen konnte. Die konvulsive Schönheit wird erotisch-verhüllt, berstend-starr, magisch-umstandsbedingt sein oder sie wird nicht sein.

Man sieht Sie oft über die Pariser Flohmärkte flanieren, nicht selten in Begleitung anderer Künstler wie Alberto Giacometti. Was fasziniert Sie an Flohmärkten?

Der Genuss entsteht hier immer aus der Reibung zwischen dem ersehnten Objekt und dem Zufallsfund. Der Fund von Gegenständen erfüllt absolut die gleiche Funktion wie der Traum, in dem Sinne als er das Individuum von lähmenden affektiven Bedenken befreit, es tröstet und ihm zu verstehen gibt, dass das Hindernis aus dem Weg ist, das es für unüberwindlich gehalten hatte.

Alle Informationen zur Ausstellung »Objekte der Begierde. Surrealismus und Design« finden Sie hier.


Die Antworten basieren auf Zitaten aus folgenden Quellen:
Salvador Dalí: »Objets surréalistes«, in: André Breton: Le Surréalisme au service de la révolution, Nr. 3, Paris 1931
Salvador Dalí, in: Richmond Times-Dispatch, 24. November 1940
André Breton: L’Amour Fou, Gallimard, Paris 1937