»Künstlerisch war ich vollkommen frei.«
Interview mit Galina Balaschowa
Über 20 Jahre lang gestaltete Galina Balaschowa (*1931) die Innenräume der wichtigsten sowjetischen Raumfahrzeuge und Raumstationen. Im Zuge ihrer Recherchen für die Ausstellung »Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute« sprach die beratende Kuratorin Aljona Sokolnikowa mit Frau Balaschowa über die Höhepunkte ihrer Laufbahn.
Aljona Sokolnikowa: Von 1963 bis 1986 gestalteten Sie die Wohn- und Arbeitsumgebungen der Kosmonauten im All. Was war dabei die größte Herausforderung?
Galina Balaschowa: Es galt, Räume für die Schwerelosigkeit zu gestalten, und das ist nicht ganz einfach. Ich entwarf die Innenräume der Orbitalmodule von vier verschiedenen Sojus-Modellen, von den Raumstationen Saljut 6, Saljut 7 und Mir und der Raumfähre Buran. Dazu kamen verschiedene Medaillen und Missionsabzeichen, darunter das für das Apollo-Sojus-Testprojekt. Die bestehenden Strukturen konnten auch eine Herausforderung sein. Die Position der Innenarchitektin oder »Raumarchitektin« gab es eigentlich gar nicht. Offiziell war ich im Experimental-Konstruktionsbüro (OKB-1) angestellt, das alle Raketen und Raumschiffe für das sowjetische Raumprogramm entwickelte, und zwar als Ingenieurin für technische Raumgestaltung. Dafür wurde ich bezahlt, alles andere – alle meine Innenarchitektur- und Grafikdesignprojekte – waren inoffiziell und gratis!
AS: Das muss doch sehr frustrierend gewesen sein.
GB: Das war es, aber es bedeutete auch, dass sich keiner in meine Arbeit einmischte. Künstlerisch war ich vollkommen frei, und ich konnte mich bei allen Projekten auf meinen gesunden Menschenverstand und mein künstlerisches Gespür verlassen, das durch eine klassische Ausbildung zur Architektin auf einem soliden Fundament stand. Außerdem analysierte ich die Missionsbewertungen der Kosmonauten sehr genau und bemühte mich stets um Verbesserungen.
AS: War es für Sie als Frau besonders schwierig, diese Stelle zu bekommen?
GB: Ich glaube, das war irgendwie eine Kombination aus Glück und Leidenschaft und meiner Bereitschaft, mich an die Regeln zu halten. Mein Ehemann war als Physiker am OKB-1. Durch ihn bekam ich dort eine Anstellung als Architektin und kümmerte mich um den Umbau der Gebäude und der gesamten Anlage. Es war 1963, als die Ingenieure einen ersten Entwurf für eine Raumkapsel für das Sojus-Raumschiff vorlegten, der aber abgelehnt wurde. Also baten sie mich, einen neuen Entwurf zu entwickeln, den ich buchstäblich über Nacht anfertigte. Er wurde sofort angenommen. Über ein Jahr lang musste ich diese Projekte nach der Arbeit zu Hause erledigen, dann wurde ich endlich in die Riege der Raumschiffentwickler aufgenommen. Für eine Weile war ich offiziell Teil des Wachpersonals, gleichzeitig gab ich meinen Entwürfen für die Innengestaltung der Raumstation MIR den letzten Schliff. In all diesen Jahren hat nie jemand wirklich begriffen, was ich da eigentlich machte. Als würde ich da nur so zum Spaß vor mich hin kritzeln.
AS: Dabei waren Ihre Projekte damals wirklich einzigartig! Zumal Sie von der Außenwelt vollkommen isoliert waren, weil das Raumprogramm strengster Geheimhaltung unterlag. Was würden Sie als Ihren wichtigsten Beitrag zur Gestaltung von Raumkapseln bezeichnen?
GB: Mir ging es immer darum, dass die Kosmonauten sich wohlfühlen. Darum habe ich die Innenräume stets am Menschen ausgerichtet. In der Architektur gilt es vor allem, die Räume anzuordnen, nicht die Ausrüstung! Die anderen Ingenieure in unserem Büro haben das nie wirklich begriffen. Ich erkannte außerdem, dass es zwei wesentliche Dinge gibt, die man im Kopf behalten muss, wenn man Räume für die Schwerelosigkeit gestaltet. Erstens verwendete ich erdige Farben, um einen deutlichen Kontrast zwischen dem dunkleren, grünen Boden und der helleren, blassgelben Decke zu erzielen und so die Orientierung im Raum zu erleichtern. Zweitens erfand ich ein innovatives System mit Klettverschlüssen, mit dessen Hilfe die Kosmonauten umstandslos kleine Gegenstände fixieren konnten, die sonst in der Kapsel herumschweben würden. Sogar sich selbst konnten sie damit an verschiedenen Oberflächen festkletten.
AS: Viele Ihrer Enwürfe haben Sie in Aquarellfarben ausgeführt. Soweit ich weiß, malen Sie sehr gern, und angeblich sind einige Ihrer Aquarelle sogar ins Weltall geflogen. Stimmt das?
GB: Bei manchen meiner Entwürfen hingen Bilder an den Wänden der Raumkapsel. Als die Entwürfe angenommen wurden, musste ich einige meiner eigenen Landschaftsbilder hergeben, alles für die gute Sache!
Alle Informationen zur Ausstellung »Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute« finden Sie hier.