»Warum wird ein Kontinent wie Afrika immer wieder neu entdeckt?«

Okwui Enwezor, in Nigeria geborener Kurator, ist Direktor am Haus der Kunst in München und Kurator der 56. Kunstbiennale in Venedig 2015. Kunst und Design des 20. und 21. Jahrhunderts aus Afrika, Europa, Asien, Nord- und Südamerika stehen dabei in seinem Fokus. Zudem befasst er sich mit Theorien der Diaspora und Migration, der postkolonialen Moderne und Architektur sowie der Raumplanung für afrikanische Städte nach der Kolonialzeit. Für die Ausstellung »Making Africa – A Continent of Contemporary Design« war Enwezor als beratender Kurator tätig. Amelie Klein, Kuratorin der Ausstellung, sprach mit ihm über die Bedeutung von Design in Afrika und warum es unbedingt erforderlich ist, den traditionellen Designbegriff in diesem Kontext neu zu definieren.

Sie schlagen ein neues Vokabular für Design in Afrika vor. Warum ist das notwendig?

Wenn wir über Design sprechen und Afrika damit in Zusammenhang bringen, dann müssen wir die Vergangenheit hinter uns lassen, denn dieses Begriffspaar war zumeist auf Kunsthandwerk und Produktionsmethoden beschränkt, die man vielleicht nicht im Vokabular zeitgenössischen Designs ansetzen würde. Wir müssen Konzepte wie Recycling, Umgestaltung, Verarmung oder Informalität neu denken, um sie produktiv in die Gegenwart zu übertragen und unser Bild des Defizits zu überwinden, das wir allgemein mit Afrika in Verbindung bringen. Ich glaube, dass die Sprache an sich selbstkritisch sein muss, auch dann, wenn wir bereits gebräuchliche Begriffe und Konzepte verwenden.

Afrika scheint im Kunst- und Kulturbereich der »neueste Trend« zu sein, wenn ich das mal so ausdrücken darf.

Afrika war schon früher der »neueste Trend«, beispielsweise zur letzten Jahrhundertwende in Paris. Die Kubisten entdeckten Afrika wegen seiner essentiellen und abstrakten Formsprache und die deutschen Expressionisten wegen der Andersartigkeit, die die afrikanischen Skulpturen vermittelten. Bei den Surrealisten stand die Magie des Anderen im Vordergrund, die aus einem vermeintlichen Übermaß an primitiver Reinheit resultierte, das man den sogenannten Stammeskulturen zuschrieb. Diese Fragestellung kann als historisch verstanden werden, was wiederum neue Fragen aufwirft: Warum wird ein Kontinent wie Afrika immer wieder neu entdeckt? Was wird immer wieder vergessen, wenn diese Neuentdeckungen gemacht werden? Was wird in der aktuellen Auseinandersetzung mit Afrika übernommen? Ich beteilige mich nur ungern an diesem Diskurs über Afrika als die neue modische Aktualität, weil durch diesen die Trennung des Kontinents vom Rest der Welt unterstrichen wird.

Warum ist Afrika relevant und warum ist die Arbeit von afrikanischen Künstlern und Designern wichtig?

Weil eine Milliarde Menschen in Afrika leben, die diese ideenreichen konzeptionellen Rahmenbedingungen
jeden Tag auf sehr komplexe und innovative Weise mitgestalten. Sie treiben damit Ideen, das Leben und die Gemeinschaft voran, sie entwickeln Theorien über das Objekt, die Konsumenten und die Beziehung von Objekten. Darüber sollten die Menschen nachdenken, wenn es nach mir ginge. Denn bevor Afrika der »neueste Trend« wird, existiert es bereits, wissen Sie, als Afrika.

Sie haben 1994 das Magazin »Nka« gegründet. Was bedeutet das über Kunst und Design hinaus?

Als ich das Magazin gründete, war ich auf der Suche nach einem Begriff, der einen neuen ästhetischen Horizont eröffnet und zugleich ideologischen Widerstand darstellt. Dadurch wollte ich die Erkenntnis erzwingen, dass die Sprache des anderen nicht Kauderwelsch ist. Sie hat Bedeutung, einen konzeptionellen Rahmen. In Igbo, der Sprache, mit der ich in Ost-Nigeria aufwuchs, bedeutet »Nka« so viel wie kreieren, machen, erfinden. Es bedeutet auch Kunst und erleuchtende Kunst. Und in Basaa, einer Sprache, die in Kamerun gesprochen wird, heißt es Diskurs. Menschen fragen mich oft: »Wann waren Sie das erste Mal im Museum?« Als ob ein Museum der einzige Ort wäre, wo man Kunst erlebt! Dem Magazin den Namen »Nka« zu geben, war für mich ein Weg,
diese Vorstellung abzubauen.

»Machen« – auf Englisch »to make« – ist auch einer der Begriffe in Ihrem neuen Vokabular. Wie lautet Ihre neue Definition?


»To make«, ich denke das umfasst wirklich alles, was die Selbstgefälligkeit des Massenkonsums in Frage stellt. »Etwas zu machen« ist ganz elementar, weil es zunächst eine Investition in die Vorstellungskraft darstellt, aber auch das Konzept der Zeit im Kontext industrieller und post-industrieller Produktion in Frage stellt, bei dem »das Machen« automatisiert und undifferenziert ist. Eine Sache, die die afrikanischen Volkswirtschaften zerstört, ist der Import von Billigwaren. Im afrikanischen Kontext müssen wir also auch die politische Dimension von »making« begreifen – das »making« als eine Art subversiver Akt, als Erforschung