»Die Natur ist die beste Biologin, die beste Chemikerin der Welt.«

Interview mit Shellworks

Das Londoner Start-up Shellworks ist ein Zusammenschluss von ExpertInnen aus Naturwissenschaft, Ingenieurswesen und Design. Das interdisziplinäre Team entwickelt seit 2019 Alternativen zu Plastik und arbeitet dabei eng mit der Natur zusammen. Die Kuratorinnen der neuen Ausstellung »Plastik. Die Welt neu denken« im Vitra Design Museum sprachen mit Amir Afshar, der Shellworks mitgegründet hat, über Arbeits- und Denkansätze und über den kürzlich erfolgten Neustart des Unternehmens.

Charlotte Hale und Mea Hoffmann: Womit befasst sich Shellworks? Mit welchen Materialien und Verfahren arbeiten Sie?
Amir Afshar: Wir drei GründerInnen von Shellworks lernten einander bei dem zweigleisigen Master-Studiengang »Innovation and Design Engineering« am Royal College of Art und Imperial College kennen. Was uns verband, war das Interesse am Problem der Plastikvermüllung. Wir kamen aus verschiedenen Richtungen – Wissenschaft, Technik, Gestaltung – und wollten unsere Kenntnisse bündeln und so vielleicht eine Lösung finden. So fingen wir an, an einer Alternative zu Plastik zu arbeiten, die wirklich biologisch abbaubar ist, unabhängig von den Bedingungen industrieller Kompostierung wie Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit – ein zeitgemäßes Material, das nur so lange Bestand hat, wie es gebraucht wird. Warum also nicht die Prozesse nutzen, die über Jahrtausende in der Natur entstanden sind? Zunächst verwendeten wir Chitin. Das ist ein Biopolymer, den wir aus den Schalen von Krustentieren gewannen – ein Abfallprodukt der Nahrungsmittelindustrie. Wir bekamen dann viele Rückmeldungen zum Thema vegane Lösungen. Darüber hatten wir noch gar nicht nachgedacht, denn wenn man sich mit Plastik beschäftigt, fragt man nicht unbedingt als Erstes, ob es vegan ist oder nicht! Inzwischen nutzen wir einen Fermentierungsprozess auf Basis von Mikroben, die sich von Kohlenhydraten wie Zucker oder Speiseresten ernähren und in ihren Zellen ein plastikartiges Material bilden, ähnlich wie unser eigener Körper Fett erzeugt. Dieses Material kann man dann entnehmen und es verhält sich wie Plastik. Es war als wollte die Natur uns sagen: »Hier ist eine Lösung, die für mich in Ordnung ist.« Das beste daran ist, dass die gleichen Mikroorganismen das Material auch wieder abbauen. Sie sind überall im Wasser und in der Erde vorhanden. Sobald dieses Material weggeworfen wird, wird es schadstofffrei abgebaut, es bleibt kein Mikroplastik übrig.

War die bessere Verfügbarkeit auch ein Grund für den Wechsel von Chitin zu Mikroben?
Chitin ist das zweithäufigste Biopolymer der Erde, gleich nach der Zellulose, ist also kurzfristig gut verfügbar. Aber wenn man das in dem Maßstab betreibt, der bei Plastik nötig ist, müssen andere Industriezweige nachziehen, und wir fanden es nicht gut, umweltschädliche Monokulturen zu fördern, nur um Chitin zu gewinnen. Es ist ein überaus interessantes Material, aber mit Mikroben lässt sich die Produktion schneller hochskalieren.

Sollen Ihre Produkte die Eigenschaften von Plastik nachahmen, oder dürfen sie so natürlich wirken, wie sie sind?
Die Natur ist die beste Biologin, die beste Chemikerin der Welt. In der Natur sind die Dinge so komplex, so schön, so perfekt strukturiert, das kann man kaum kopieren. Wir arbeiten mit der Natur zusammen. Unsere auf Mikroben basierenden Alternativen zu Plastik haben hervorragende Barriereeigenschaften. Sie sind wasser- und fettabweisend und lassen sich mit gängigen Verfahren weiterverarbeiten. Uns geht es um Stoffe, die sich wie Plastik verarbeiten lassen, sich aber nicht unbedingt wie Plastik anfühlen. Die Oberflächenstruktur ist uns sehr wichtig, ebenso die Tiefenstruktur. Wir verwenden nur natürliche Farbstoffe, und uns gefällt die Uneinheitlichkeit, die dadurch manchmal entsteht. So bekommt man ein Gefühl für die Einzigartigkeit eines jeden Produkts. Auch wenn es eines von 5000 ist, unterscheidet es sich doch von den anderen. Das gibt den Dingen eine besondere Wertigkeit. Das ist aber auch etwas, das wir ständig hinterfragen.

Wie weit ist das Verfahren heute? Gibt es schon marktreife Produkte?
Wir beliefern einige Kosmetikunternehmen. Meistens denkt man bei Einmalverpackungen eher an Lebensmittel als an Kosmetik, weil man Kosmetikprodukte über einen längeren Zeitraum verwendet. Das Problem in der Kosmetikindustrie – etwa bei den Lippenstifthülsen – ist, dass sie üblicherweise aus vier oder fünf verschiedenen, fest verbundenen Plastikarten bestehen und daher auch mit den besten Absichten so gut wie nie wiederverwertet werden können. Unsere Produkte hingegen bestehen aus einem einzigen Material.

Wie sehen Sie die Zukunft des Plastik?
Wir sind zuversichtlich. Wir wollen den Leuten keine Schuldgefühle einreden. Plastik war eben verfügbar. Theoretisch ist es ein tolles Material, aber es war einfach zu gut, so dass es überall verwendet wurde. Das geht auch anders, besser. Wir sollten uns darauf einlassen und gemeinsam eine Lösung finden, die allen zugute kommt.

Alle Informationen zur Ausstellung »Plastik. Die Welt neu denken« finden Sie hier.